SIGS DATACOM Fachinformationen für IT-Professionals

SOFTWARE MEETS BUSINESS:
Die Konferenz für Software-Architektur
03. - 07. Februar 2020, München

Sessionsdetails

Vortrag: Mi 6.1
Datum: Mi, 05.02.2020
Uhrzeit: 09:00 - 10:30
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Digitale Ethik mal pragmatisch: Wie man gut und gleichzeitig erfolgreich sein kann

Uhrzeit: 09:00 - 10:30
Vortrag: Mi 6.1

 

Als Digitalschaffender wird man momentan oft mit digitaler Ethik und der eigenen Verantwortung konfrontiert. Ach, man will ja Gutes tun, aber man muss ja auch Geld verdienen … Sind ethisches Verhalten und Innovation und wirtschaftlicher Erfolg wirklich Gegensätze? Ausgehend von einem Vergleich Silicon Valley / Deutschland geben wir pragmatische Tipps für eine digitale Ethik, die sogar innovationsfördernd ist. Die Teilnehmer nehmen wir mit in ein kleines Fallstudien-Experiment, in dem sie das direkt und selbst erfahren können.

Zielpublikum: Entwickler, Entscheider, Projektleiter, Architekten, Anforderungs-Manager
Voraussetzungen: Erfahrung mit komplexen IT-Projekten
Schwierigkeitsgrad: Fortgeschritten

Extended Abstract
Der Fortschritt in der Entwicklung digitaler Innovationen, noch dazu unter Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), ist ein wesentliches Merkmal der digitalen Transformation von unserer Gesellschaft mit irreversiblen Auswirkungen auf unsere Lebens- und Arbeitsbereiche.
Wir Digitalschaffende tragen hier eine besondere Verantwortung – die uns auch allenthalben vorgehalten wird, in vielen Artikeln, Blogs und Diskussionen. Natürlich will man Gutes tun, wenn man kein Soziopath oder gewissenloser Geschäftemacher ist. Aber wie lässt sich das mit der Notwendigkeit vereinbaren, die eigene Selbstständigkeit nicht zu gefährden, wichtige Kunden zufriedenzustellen und Termine einzuhalten?
Die gängigen Ethik-Kodizes, wie beispielsweise der Verhaltenskodex der GI, machen uns diese Aufgabe nicht leichter. Die meisten Menschen denken bei ethischen Vorgaben an ein starres Wertesystem, so etwas wie die „zehn Gebote des digitalen Schaffens“ – und so sind viele Ethik-Rahmenwerke auch aufgebaut. Das Problem ist dann aber, dass solche Gebote zwangsläufig recht abstrakt bleiben müssen und in der Wirklichkeit einer agilen Entwicklung – Zeitdruck, Konflikte, anspruchsvolle Kunden, widersprüchliche Anforderungen – schlichtweg nicht brauchbar sind.
Es gibt durchaus auch originellere Ansätze zur ethischen Überprüfung des eigenen Tuns, wie z.B. ethicalos.org. Aber auch diese sind immer noch recht weit weg von den Details der Entwicklungsarbeit. Die Frage, wie man solche Überprüfungen nahtlos in das Entwicklungsvorgehen integriert, bleibt letztlich offen.
Ein weiteres generelles Problem der allermeisten ethischen Kodizes und Bewertungssysteme für digitale Produkte ist, dass diese einseitig auf die Risiken fokussieren, anstatt eine echte Abwägung von Risiken und Nutzeffekten zuzulassen. Damit wird einseitig der Fraktion der Technikskeptiker Stimme verliehen. Dazu kommt (wie oben beschrieben), dass die existierenden Frameworks (durch ihre allgemeine Natur) in der Regel vor oder nach dem Entwicklungsvorgang angewendet werden können, aber kaum währenddessen.
Damit erweist man dann insgesamt der Akzeptanz der Ethikbetrachtung bei Entwicklern und Kunden einen Bärendienst. Wenn ethische Betrachtung nur verhindert, aber nichts besser macht und schon gar nicht beim Entwickeln hilft, dann läuft etwas schief. Dann sind wir beim Grundsatz des „science proposes, society disposes“ – und jene Entwicklerteams, die sowieso nie Lust auf die Beschäftigung mit der Auswirkung ihres Tuns hatten, können sich unbehelligt in die Schmollecke zurückziehen und sich über die Verhinderer beklagen.
Die Vortragenden haben in Experteninterviews im Silicon Valley und in Deutschland die gängige Entwicklungspraxis auf den praktischen Umgang mit ELSI-Bewertung (ethical, legal and social implication) hin durchleuchtet. Darüber hinaus haben sie in einer ausführlichen Recherche die existierenden Ansätze zusammengetragen und versucht, diese nach gewissen grundsätzlichen Ansätzen zu kategorisieren.
Nimmt man die bestehenden Ansätze zur Einschätzung sozialer Implikationen hinzu – also was die digitale Lösung mit der Welt und dem sozialen Gefüge seiner Nutzer tut –, dann tun sich durchaus Perspektiven auf, wie den obigen Herausforderungen begegnet werden kann. Kategorien wie Teilhabe, Fürsorge, Sicherheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit, Privatheit und Selbstverständnis (wie im MEESTAR-Modell von Weber) können sinnvoll mit grundsätzlichen ethischen Betrachtungsweisen wie Tugendethik oder Utilitarismus kombiniert werden.
Damit lässt sich dann sogar noch weiteres Innovationspotenzial für die geplante digitale Lösung heben, weil man gezwungen ist, einerseits immer einen 360°-Blick auf das eigene Werk zu haben, und andererseits immer partizipativ, unter Beteiligung aller Stakeholder und insbesondere der potenziellen Nutzer*innen, zu arbeiten.
Im Vortrag machen wir dies an einem praktischen Fallbeispiel aus dem echten Leben fest. Das werden wir zusammen mit den Teilnehmer*innen durchspielen und in dieser Form unsere praktischen Tipps für eine pragmatische Digital-Ethik ausprobieren und erlebbar machen. Den Teilnehmern könnte wir die typischen Stakeholder-Rollen zuweisen (Entwickler, Kunde, Datenschutzbeauftragter, Anforderungsmanager, Architekt, …). Das Publikum wird dann auf die Rollen aufgeteilt („alle auf der linken Seite sind Entwickler“ oder „alle mit Endziffern 0,1,2 auf dem Konferenzausweis sind Entwickler“).
Dann gehen wir unser Beispiel-Projekt mit typischen ethischen Fallstricken durch und lassen die Stakeholder mit einem Tool wie beispielsweise Mentimeter (https://www.mentimeter.com/) den jeweils nächsten Schritt bestimmen. Das Projekt werden wir verfremdet aus eigenem Projekterleben, angereichert mit echten Details aus den o.g. Expertenbefragungen auswählen – z.B. so etwas wie eine digitale Patientenakte, eine Datenaustauschplattform für Arbeitsagentur und Jugendhilfe etc.